Es staubt an diesem Morgen. Fast wünsche ich mir etwas Regen – aber Regen ist zu Zeiten von Hochwasser nicht wirklich wünschenswert. Jedenfalls ist es bei meiner Ankunft in der Kieskuhle bei Tramm trocken. Noch weiß niemand, welche Teile des Wendlands von der Flutwelle der Elbe betroffen sein werden. Die Deiche sind – bis auf die üblichen Ausnahmen – inzwischen recht ordentlich. Hitzackers neuer Schutzwall, der nach zähen, quälend langen Verhandlungen neu errichtet wurde, soll seine Feuer- besser Wasserprobe bestehen. Experten sagen – er wird nicht ausreichen; längst nicht.
Es ist nicht genug, dass die Pegel immer neue Höchststände knacken sollen, dazu kommt, dass es offenbar unterschiedliche Stellen gibt, die ihre Prognosen verbreiten. Die Experten des Landkreises schätzten die Lage gestern offenbar noch positiver ein, als andere. Wie immer ist man als Bürger dem Expertenrat ausgeliefert – es nützt eh nix. Sicher ist: Wir brauchen Sandsäcke; viele tausend Sandsäcke. Ob es nun mehr oder weniger sind, ist angesichts dieses Staubes vollkommen egal.
Während der vergangenen Jahrhunderthochwasser waren wir eigentlich immer beim Abladen mit dabei. Diese schweren Jutesäcke von Hand zu Hand gereicht – ist mir noch gut in Erinnerung. Das Befüllen derselben ist aber eine neue Erfahrung.
Mein Spaten erweist sich für mich als überflüssig. Schaufeln sind zu genüge da, Säcke auch und Sand… ja Sand auch. Die Sandwände der Kuhle reichen meterhoch und fallen steil in Richtung der Helfer ab. Im Abstand von zehn Metern haben Radlader riesige Sandberge abgeschüttet, die werden nun stoisch von den Freiwilligen in Zivil und in Uniform gefüllt. Ich stehe etwas ratlos da, muss mich erst einmal orientieren. Dann suche ich mir den schönsten Haufen aus und schließe mich einer Truppe von drei Leuten an.
Das Vorgehen ist arbeitsteilig – Schippen, Aufhalten, Zubinden, Stapeln. Wie beim Zirkelsport in der Schule durchlaufen wir Station für Station und nehmen uns wieder einen leeren Sack. Nur die Schaufel bleibt bei einem Bauern, dessen Hof im Elbgebiet liegt. Drei Stiche in den Haufen hinter ihm und der Sack ist voll. Gehockt spreize ich mit beiden Händen den Jutesack auf und warte auf die dritte Portion. Dann stehe ich auf, stelle den offenen Sack auf die Palette und knote ihn zu. Dann wird der Sack möglichst ordentlich gestapelt, so ist die Gefahr, dass die Säcke beim Transport verrutschen minimiert.
Meine Sollbruchstelle ist das Zuknoten. Hinter mir entsteht immer wieder ein Stau der Nachrücker bis ich den Bogen raushabe. Anfangs glaube ich, das eine Schleife am schnellsten geht – die Bewegung ist einfach instinktiv. Schließlich entscheide ich mich dabei zu bleiben. Masse gewinnt.
In den Pausen unterhält man sich natürlich. Die Frage, die die Bauern umtreibt: Wohin mit dem Vieh. Leere Ställe sind selten und nicht jede Sau ist transportfähig – die ferkeln nämlich. Horzionterweiterung ganz nebenbei. Die endet, weil der Kleine in den Kindergarten muss.
Da ist helle Aufregung. Wie das Schützenfest ist auch das Sommerfest des Kindergartens auf der Kippe – aber was soll man machen? Weiterschippen. Die Gesichter der anwesenden Eltern und Betreuer sind lang. Was tun? Wie alle anderen auch! Ich versuche, ein paar leere Säcke zu organisieren. Verheimlichen kann man den Kindern das Hochwasser und die Sorgen der Eltern doch nicht – und schippen können die Meisten. Helfen muss ja auch gelernt werden.
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