Mensch sein in der Pandemie

Aus meiner Twittertimeline – übertragen ins Deutsche.

Aus Twitter
Sarah Noll Wilson

Okay Leute, wir müssen reden.

Während des ersten Monats der Pandemie gab es ein kollektives Erleben von Unterbrechung, Verwirrung, Unsicherheit und Chaos. Die Menschen teilten sich mit: Wie überfahren sie sich fühlten, wie anstrengend der Lernprozess war herauszufinden, wie das „zu Hause Arbeiten“ funktionieren könnte.

Die Menschen verausgabten sich dabei herauszufinden, wie sie die Kinder beschulen und gleichzeitig den Chef besänftigen könnten, wie sie sich gesund und ihre Familie sicher halten konnten.

Es gab Entscheidungsmüdigkeit, Videokonferenzermüdung, Veränderungsmüdigkeit. Es gab Einsamkeit, wirtschaftliche Härten und ein Gefühl von Trauer um das Leben, wie wir es kannten.

Meine Gespräche mit Führungskräften veränderten sich recht schnell von den üblichen strategischen Themen hin zu Einzelfragen, wie etwa: „Wie unterstütze ich meine Teammitglieder bei ihren Gefühlen“ oder „Wie kann ich mein Team unterstützen, wenn das morgendliche Aufstehen im Alltag fast unmöglich scheint?“

Die Bitten von Unternehmen um Gespräche und Beratungen rund um mentale Gesundheit, emotionale Belastbarkeit und emphatische Führung haben drastisch zugenommen. Während die Menschen wussten, dass alle betroffen waren, sind wir im inneren überzeugt, dass wir selbst es gerade so eben überhaupt schaffen.

Irgendwie haben wir uns selbst davon überzeugt, dass alle anderen es hinbekommen haben und nicht nur das: Sie haben es wie nebenbei geschafft, Focaccia zu backen und eine Nebenbeschäftigung zu beginnen.

Und wir denken uns: „Was ist falsch mit mir?“, „Wann kommt der Augen-zu-und-durch-Moment?“

Aber wenn wir die Menschen fragen: „Mal ehrlich, wie geht es Dir?“, reichen die Antworten von besorgt über verängstigt, zu gestresst – gesprenkelt mit ein paar Hoffnungszeichen.
Und dann sind sie alle überrascht, fühlen sich bestätigt und sogar verstanden sobald sie erkennen, dass sie nicht alleine sind/waren.

Ich denke wir müssen uns etwas in Erinnerung rufen:

Du bist nicht nicht alleine, warst Du nie und wirst Du nie sein.

In einer Pandemie zu leben bedeutet, mit dem ständigen Brummen der Bedrohung zu leben. An einigen Tagen ist das Brummen so leise, dass Du versuchst bist zu denken, das Leben sei „normal“. Um im nächsten Moment aufzudröhnen und Dir klar zu machen: Auch wenn Du denkst, Du hättest sie hinter Dir gelassen – die Pandemie ist noch lange nicht mit Dir fertig!

In einer Pandemie zu leben bedeutet, dass es weniger Momente gibt, in denen Du den Autopiloten einschalten kannst, um deinem Kopf eine Pause zu gönnen während alles seinen Gang geht.

In einer Pandemie zu leben bedeutet, jeden Tag mit Ungewissheiten konfrontiert zu werden. Wann werde ich meine Familie sehen? Werde ich meine Stelle verlieren? Wird mein Kind genug lernen? Habe ich genug Geld für Benzin? Kann ich meinem Team helfen? Ist diese laufende Nase wirklich nur eine Allergie oder etwas Ernstes?

Die Fragen stellen sich so schnell, dass wir gar nicht realisieren, wie unser Gehirn in den „Was-Wäre-Wenn“-Modus umschaltet, wie eine App, die auf dem Smartphone läuft und den Akku langsam leer saugt. Und wir finden uns plötzlich schlaflos um 2 Uhr morgens und wissen weder warum wir nicht schlafen können noch welcher Wochentag ist.

Aber inzwischen sind wir fast 100 Tage in diesem Modus. Wir haben neue Verhalten entwickelt, Muster gefunden, neue Maßstäbe angelegt. Die Macht der Gewohnheit beruhigt uns und lässt uns denken, alles wäre wieder normal. Wir sind verwirrt wenn die uns Erschöpfung plötzlich wieder übermannt, wenn wir gerade noch abwehren und kaum noch gestalten können.

Wir fragen uns erneut: „Alle kommen klar, was ist falsch mit mir?“, „Wann kommt der Augen-zu-und-durch-Moment?“

Also hier noch einmal die freundliche Erinnerung

Wir leben in einer Pandemie.

Du bist nicht alleine, warst es nie und wirst es nie sein.

Wir müssen akzeptieren, dass wir uns im Moment mies, und einen Augenblick zuvor noch prima fühlten. Ich glaube ich habe heute elf verschiedene Emotionen durchlebt.
Warum ich Emotionen toll finde? Sie sind temporär. Immer.
Auch wenn es sich in dem Moment nicht immer so anfühlt, sind Emotionen sind nicht von Dauer.

Und genau darum lade ich Dich ein, wohlwollend in Dich hineingehören und Dich zu erkennen und das auch bei Deinen Mitmenschen zu tun.
Es ist okay, wenn Dein Sauerteig noch nicht fertig ist, wenn Du kein Nebenprojekt abgeschlossen oder den täglichen Workout absolviert hast.
Und es ist okay, wenn doch.
Wir alle müssen uns regenerieren auf die Weise, die für uns funktioniert. Pass nur auf, dass Du es tust.

An meine Mitmenschen:
Reite die Welle, wo nötig lass Dich treiben und behalte immer den Horizont im Blick.

Sarah Noll Wilson

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